Fr., 12. März
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TAG DES JUDENTUMS 2022 - TAG DES GEDENKENS: WIENER GESERA 1420/21
Das Gedenken sollte an die Enteignung, Vertreibung und schließlich Ermordung (Verbrennung) der blühenden jüdischen Gemeinden vor 600 Jahren durch Herzog Albrecht V. erinnern, einschließlich der Zwangstaufen eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte.
Zeit & Ort
12. März 2021, 19:00
Wien, 1180 Wien, Österreich
Über die Veranstaltung
Wie seit 2014 hat die Vernetzte Ökumene Wien auch heuer wieder anlässlich des Tags des Judentums 2022 einen Tag des Gedenkens gestaltet. Eigentlich war er schon für 2021 gedacht und fertig vorbereitet, aber dann fiel dieses Gedenken einem Corona-Lockdown zum Opfer und wurde auf 2022 verschoben, Das Angebot des KOA Wien, eine virtuelle Veranstaltung zu organisieren, konnte nicht angenommen werden, weil es den Ökumene-Veranstaltern ja gerade auf die Christen-und-Juden-gemeinsame Trauerarbeit in persönlichen Begegnungen und auf die entsprechenden Gespräche, vor allem am Ende dieser Abende (bei der koscheren Agape), ankommt. Also wurde um ein Jahr auf 2022 verschoben. Auch das schien zum vorgesehenen Termin (14.1.) Corona-bedingt nicht möglich zu sein, da damals noch nur max. 25 Gäste zugelassen waren, nochmals also Verschiebung auf den 10.3. - immerhin fast terminident mit dem historischen Ereignis - 12.3.1421.
Das Gedenken sollte an die Enteignung, Vertreibung und schließlich Ermordung (Verbrennung) der blühenden jüdischen Gemeinden vor 600 Jahren durch Herzog Albrecht V. erinnern, einschließlich der Zwangstaufen eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte. Prof.Dr.Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, erinnerte in seinem Einleitungsreferat daran, dass „das erfolgreiche Zusammenspiel von Politik, Kirche und Theologie“ damals 1421 zur Wiener Gesera geführt habe und wir heute im Krieg gegen die Ukraine dasselbe wieder erleben. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill II. und Präsident Putin spielten, so Jäggle, eine „Symphonie“, die (nicht nur) für die Ukraine eine Katastrophe sei. Die Sprecherin der Vernetzten Ökumene Wien, Dr. Elisabeth Lutter, kam am Ende der Veranstaltung nochmals darauf zurück.
Über die historischen Zusammenhänge dieses sogar für die mittelalterlichen Zeitzeugen äußerst grausamen Geschehens berichtete die Historikerin Prof.Dr.Marta Keil, Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs - allerdings nicht persönlich, weil im letzten Moment coviderkrankt; ihren Beitrag verlas eindrucksvoll Dr. Willy Weisz, selbst Jude, IKG-Mitglied und Vizepräsident des Koordinierungsausschusses. Ebenso berichtete Keil in ihrem Text darüber, dass es bis heute an der schon vor mehr als 100 Jahren eingeforderten entsprechenden Erinnerungskultur fehle. Auch Jäggle hatte diese in seinem Referat bereits eingefordert und festgestellt, dass weder die Republik Österreich noch die Stadt Wien der „600-Jahre-Wiener-Gesera“ gedacht hätten. Nur die Universität Wien und ihre theologische Fakultät veranstalteten gemeinsam mit der Wiener IKG am 12.3.2021 erstmals eine Gedenkfeier bei der Mauer der einstigen Synagoge am Judenplatz.
Damit befinde sich die Vernetzte Ökumene Wien mit ihrer Gedenkveranstaltung an die Wiener Gesera in einer „elitären Gesellschaft“, meinte Dr. Elisabeth Lutter, in ihren überleitenden Worten.
Danach berichtete der Synagogenforscher Dr. Pierre Genée noch mit Lichtbildern über die Alte Synagoge am Judenplatz im Vergleich mit der Erdberger Synagoge und den kleinen, fast privaten Bethäusern der eher bürgerlichen jüdischen Bevölkerung des damaligen 3. Wiener Bezirks.
Gerne hätten die Teilnehmer wie die Veranstalter den Generalsekretär der Wiener IKG Benjamin Nägele, wie im Programm vorgesehen, dazu gehört - er musste, ebenfalls im letzten Moment, wegen des aktuellen massiven Hilfseinsatzes für die ukrainischen Flüchtlinge seinen Auftritt absagen. Dafür fand Bischofsvikar Dariusz Schutzki, auch Pfarrer der Kirche St. Othmar „bei den Weißgerbern“, nächst der ehemaligen Hinrichtungsstätte auf der „Gänseweide“, die entsprechenden Worte seitens der katholischen Kirche. Er sprach auch im spirituellen Teil der Veranstaltung das christliche Schuldbekenntnis, dem von orthodoxer (Erzpriester Jovan Govedarica) und evangelischer (Pfr.in Elke Petri, Petruskirche Wien 3) Seite Friedensbitten folgten. Schließlich sang Oberkantor Shmuel Barzilei bewegend das jüdische Totengebet El mole Rachamim.
Den Abschluss der Gedenkveranstaltung bildete eine berührende Meditation von Prof. Awi Blumenfeld (KPH Wien/Krems) zum Thema „In jedem Ende ist ein neuer Anfang“, in dem er den ewigen Kreislauf des Lebens zwischen Ende und Neubeginn beschrieb.
Dr. Elisabeth Lutter rief zum Schluss zu einer Schweigeminute für die Ukraine und ihre Menschen, Tote und Flüchtlinge, auf und verlas den russisch-englisch geschriebenen Brief des Erzbischofs von Utrecht (zum Abschluss der Internationalen Alt-Katholischen Bischofskonferenz) an Patriarch Kyrill II., er möge „alles in seiner Macht stehende tun, um die gegenwärtige Gewalt gegen die unschuldigen Menschen in der Ukraine zu stoppen“. Als Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, der auch Putin angehört, befinde er sich in einer Position, etwas zu bewirken: „Bitte machen Sie Putin klar, dass das Reich Gottes Gerechtigkeit und Frieden ist!“
Ungefähr 60 Personen haben an dieser Veranstaltung teilgenommen. Umrahmt wurde die Gedenkstunde wie schon in den Jahren zuvor von der atmosphäregebenden „Mazeltov-Musik“ (Geige, zwei Gitarren, Akkordeon), geleitet von Prof.Christa Oprießnig. Die Vernetzte Ökumene Wien arbeitet ehrenamtlich - allen Mitwirkenden ist zu danken, dass sie sich ohne Honorar zur Verfügung stellen.
Dr. Elisabeth Lutter, Koordinatorin Vernetzte Ökumene Wien